Nachdem wir zu zweit dreimal nachgezählt haben, steht fest: heute Nacht ist es soweit, der Zug, der uns und unsere Räder in 92 Tagen in den sonnigen Süden bringen soll wird heute um 24:00 Uhr zur Buchung freigegeben.

Ich stelle mir den Wecker auf 0:30 Uhr, da ich die Erfahrung gemacht habe, dass man Punkt 24:00 Uhr eh nur stundenlang in der Warteschleife hängt.

Als der Wecker zu besagter Zeit klingelt, brauche ich zunächst einen Moment um mich zu orientieren, ich wanke zum Klo, nehme auf dem Rückweg zum Bett das Telefon mit und wähle die Nummer für den Kummer. Es klingelt zwei mal, bevor das vertraute Ding Dong ertönt und man sich gleich, wie auf einem Bahnhof fühlt. Eine nette aber irgendwie mechanische Stimme heißt mich herzlich Willkommen bei der Servicenummer der Deutschen Bahn. Obwohl ich mir ganz sicher bin, dass ich in meinem Bett sitze erklärt sie mir, dass ich mich im Hauptmenü befinde. Aus jahrelanger Erfahrung weiß ich, dass es jetzt Zeit ist, die 1 zu drücken. Anschließend teilt mir die Stimme mit, was ich offensichtlich will und schickt mich in ein weiteres Hauptmenü Hier zögere ich etwas: Muss ich die 1 drücken, weil ich eine Fahrkarte kaufen will oder die 6, weil ich ein Fahrrad mitnehmen will. Eigentlich will ich doch beides, ist das dann die 16 frage ich mich kurz in meinem Dämmerzustand und entscheide mich dann für die 6. Ich erfahre erneut, was ich will, dass die Wartezeit kostenlos ist und das ich schnellstmöglich verbunden werde. Erfreulicherweise beträgt die Wartezeit auch nur eine Minute. Während ich mich noch freue, dass ich dieses Jahr nicht einen halben Roman lesen muss, während neben mir das auf laut gestellte Telefon immer wieder dieselben Ansagen säuselt, knackt es auch schon in der Leitung. Ein offensichtlich ausgeschlafenerer Mann, als ich es bin, meldet sich mit: „Einen wunderschönen guten Morgen, was kann ich für sie tun?“ Ich trage mein Anliegen vor und höre wie seine Finger über die Tastatur fliegen. Er brabbelt vor sich hin und fragt dreimal nach, wann der Zug in Köln abfahren soll. Da fällt es mir wieder ein: Die Wartezeit war umsonst, die Beratungszeit wird hingegen mit einem saftigen Tarif abgerechnet. Steckt hinter seiner Langsamkeit also System oder ist er einfach doch nicht so wach, wie er sich anhört? Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir endlich bei der Reservierung des Liegewagens angekommen. Ich bekomme zwar nicht die gewünschten Plätze in der Mitte, ahne jedoch noch nicht, dass alles noch viel schlimmer kommt und gebe mich mit den oberen Plätzen zufrieden. Wieder vergeht eine halbe Ewigkeit gefüllt von dem Klappern der Tastatur und dem Gebrummel des Mitarbeiters. Ich denke zwar immer mal wieder an meine Telefonrechnung, fühle mich aber auf der sicheren Seite und nehme die Kosten für einen Stellplatz in dem Zug gerne in Kauf. Ich überlege schon, ob ich nicht doch während dieser Prozedur etwas lesen soll, als ich die Stimme wieder vernehme: „So dann kommen wir zu den Fahrradstellplätzen, was sagten sie noch gleich, wie viel brauchen sie?“ Ich frage mich langsam, wie logisch er eigentlich denkt und sage schlapp zwei. Es folgt wieder das bekannte Klappern und Brummen. Und dann plötzlich Stille. Ich ahne fürchterliches und bekomme es im nächsten Atemzug bestätigt. Die Fahrradplätze sind ausgebucht. Bevor mich das schwarze Loch endgültig verschlingt, frage ich noch nach dem zur gleichen Zeit fahrenden IC – nur Weicheier brauchen einen Liegewagen- doch auch hier – alles ausgebucht. Ich verabschiede mich und sinke in mein Kopfkissen, doch an Schlafen ist erst einmal nicht zu denken. Nicht nur, dass uns ein wertvoller Tag in unserer Reiseplanung flöten gegangen ist, ich muss mich in der nächsten Nacht wieder ans Telefon klemmen und bekomme langsam Angst, dass ich da ebenfalls erfolglos bin. Meine Gedanken fahren Achterbahn: Ich reg mich abwechselnd über die Deutsche Bahn auf, die auf den Fernstrecken nur so weniger Fahrradplätze zur Verfügung stellt und über mich, dass ich nicht schon um 24:00 Uhr aufgestanden bin,. Wenn dann noch Zeit bleibt, frage ich mich, wie innerhalb einer halben Stunde die Plätze in zwei Zügen ausgebucht sein können. Doch dann muss ich schmunzeln, denn es ist erst ein Paar Tage her, dass ich in einem Interview auf die Frage, ob das Glas für mich eher voll oder eher leer ist, geantwortet habe, dass es für mich in der Regel eher halb voll ist. Nur beim Reisen scheinen alle Regeln bei mir auszusetzen. Ich schaffe es sogar bei einer Dreimonatigen Trip nach eineinhalb Monaten zu jammern, dass die Reise bald vorbei ist. Über diese Gedanken schlafe ich dann doch ein und als meine Tochter am nächsten Morgen erwartungsvoll den Kopf zur Tür rein streckt, habe ich mich mit der Situation abgefunden. Heute Nacht stelle ich mir den Wecker auf kurz vor 24.00 Uhr – die Zeit für’s Klo habe ich schon einkalkuliert – und außerdem hab ich mir so eine unmögliche Zugverbindung herausgesucht, die hoffentlich niemand haben will.