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Alte Erinnerungen
Als ich dieses Jahr meine Radreise durch Italien geplant habe, hat meine Mutter plötzlich einen Aktenordner aus dem Regal gezogen, darin waren Fotos, Quittungen und vieles mehr von einer Reise, die ich vor 35 Jahren mit meinen Eltern in einem VW-Bus gemacht habe und damals waren wir genau dort, wo ich jetzt hin wollte. Wir haben in alten Erinnerungen gewühlt und irgendwann vom Arbeitszimmer in Wohnzimmer gewechselt und da standen sie alle, die Reiseführer von Michael Müller. Und dann ging es los, das Schmökern in alten Reiseführern. Immer wieder fiel der Satz: „Und weißt du noch da …“. Mir fiel plötzlich ein, wie cool ich meine Eltern damals fand, weil sie mit Michael Müller unterwegs waren und nicht mit Poliglott, wie wir Geheimtipps in Portugal aufgesucht haben und die Algarve kennengelernt haben, als dort noch keine Rede von Tourismus und Bauboom war.
Wie wir auf Empfehlung von Herrn Müller nach Salema in Portugal gefahren waren. Wie uns die Armut in dem winzigen Dorf schockiert hat. Die Kinder, die fürchterlich husteten und in den Abwässern spielten, die einfach durch das Dorf liefen, habe ich heute noch vor Augen. Und wie wir anschließend in der empfohlenen Bar eine Kleinigkeit gegessen haben, bevor wir uns wieder zu dem winzigen Campingplatz aufgemacht haben. Tja und mir viel auch wieder ein, wie ich mit eben diesem Reiseführer ein paar Jahre später mit Rucksack und Freund wieder nach Portugal gereist bin. Doch plötzlich war alles ganz anders: Der Campingplatz in Salema war mittlerweile riesig und hatte auch mehr als zwei Klos und die nette Bretterbar am Strand gab es auch nicht mehr. Von dem alten Salem war eigentlich nichts mehr da, aber wenigstens auch nicht die kranken Kinder, die in den Abwässern gespielt haben. Ich glaube in dem Moment ist mir zum ersten Mal klar geworden 1. Was Neuauflage bedeutet und 2. was es bedeutet, wenn von dem Fluch und Segen der individuellen Reiseführer die Rede ist.
Mein ständiger Begleiter: Reiseführer von Michael Müller
Inzwischen habe ich natürlich dazu gelernt aber beim Schmökern mit meiner Mutter habe ich gemerkt, dass ich tatsächlich seit 35 Jahren, okay mit Unterbrechungen, von einem Mann auf meinen Reisen begleitet werde. Es ist also an der Zeit, sich mal genauer mit diesem Typen auseinanderzusetzen. Schließlich sollte man sich als Frau gut überlegen, wen man Nacht für Nacht in sein Zelt lässt. Und so habe ich mich auf die Suche nach Michael Müller gemacht.
Michael, ich nenne ihn einfach mal beim Vornamen, schließlich hat er schon viele Nächte neben mir im Zelt gelegen, war weder Reisejournalist oder hatte gar eine Ausbildung im Verlagswesen, als sein erster Reiseführer erschien, sondern KFZ Mechaniker.
Erste Gehversuche des Michael Müller Verlages
Mit 25 Jahren reiste er, so billig, wie es irgend ging, nach Portugal, wo er all die Tipps, die schließlich in seinem Portugalführer erscheinen sollten, auch selbst ausprobiert hat.
Herausgekommen bei dieser und weiteren Recherchereisen ist ein Reiseführer von einem Reisenden für Reisende, getippt auf einer Kugelkopfschreibmaschine im Wohnzimmer und vertrieben im eigenen VW Käfer. Zuvor hatte er in Südamerika den Reisejournalisten und späteren Verleger Martin Velbinger kennengelernt und an dessen Südamerika-Handbuch und Reisehandbuch Griechenland“ mitgewirkt.
In den ersten Reiseführern gab es weder Bilder noch ein einheitliches Schriftbild. Vielmehr sahen die Seiten bereits beim Erscheinen so aus, wie meine heute, wenn die Reiseplanung in vollem Gange ist. Überall Zeichnungen, Skizzen und Randnotizen, ganz zu schweigen von den legendären handgemalten Landkarten. Doch nicht nur das Layout war so ganz anders als in den gängigen Reiseführern der damaligen Zeit, sondern auch der Inhalt. Im Zentrum standen und stehen bis heute nicht die gängigen Sehenswürdigkeiten sondern die echten Geheimtipps und Kuriositäten. Und eben wirklich handfeste Tipps beispielsweise, wie man aus öffentlichen Telefonzellen von Portugal nach Deutschland telefoniert oder welche kleine Autowerkstatt die beste ist.
In den 80er Jahren kommt es dann zu revolutionären Umwälzungen im Verlag. 1984 zieht eine elektronische Kugelkopfschreibmaschine in den Verlag ein und wird gleich drei Jahre später von dem ersten PC abgelöst. Doch nicht genug der Veränderungen, es erscheinen auch die ersten Reiseführer im farbigen Cover.
Revolution auch im Verlagshaus
1989 während Deutschland kopfsteht, feiert der Verlag sein 10 Jähriges bestehen und zieht sozusagen zur Feier des Tages aus der Schlaf- und Arbeitswohngemeinschaft in eigene Räume und scheint damit endgültig erwachsen zu werden, zumindest, wenn man darunter versteht, mit der Zeit zu gehen. Denn sage und schreibe 24 Jahre nach Einführung des Farbfernsehens kommt auch Farbe in die Reiseführer von Michael Müller, betroffen sind jedoch zunächst nur die Regionalreiseführer.
Doch Michael Müller geht mit der Zeit und ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Der Verlag geht in den Folgejahren nicht nur ans Netz und ermöglicht so die Kommunikation zwischen AutorInnen und LeserInnen, es entsteht mit MM City auch eine neue Reihe von Städteführern. Seit 2001 bedient sich der Verlag der Möglichkeiten von GPS: Verlaufen mit einem Michael Müller Wanderführer also quasi unmöglich. Und wie sollte es anders sein, die Reise- und Wanderführer sind natürlich auch als E-Book erhältlich.
Es hat sich also viel getan seit Gründung des Verlages, und auch wenn ich persönlich das Layout der späten 70er vermisse, das immer irgendwie wie ein Flugblatt einer sozialen Bewegung aussah (die sehen ja heute im Übrigen auch ganz anders aus), ist sich der Verlag dennoch treu geblieben. Nach wie vor findet man in den Reiseführern Tipps von Reisenden für Reisende und nach wie vor schaffen es die Autoren, mindestens mich, mit ihrer Begeisterung für Land und Leute zu fesseln.
Anmerkung: Kaum ein Thema wird in den sozialen Medien gerade so heiß diskutiert wie die Frage von Kennzeichnung, Werbung und gesponserten Artikeln. Ich kann dich beruhigen, meine Begeisterung für die Michael Müller Reiseführer ist echt und ich habe sie mir schon gekauft, als es das Internet noch gar nicht gab. Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass mir der Verlag in letzter Zeit das ein oder andere Exemplar überlassen hat und auch die Fotos zu diesem Artikel vom Verlag stammen.
Wie sieht es bei dir aus? Nutzt du Reiseführer und wenn ja welche? Ich freue mich über deinen Kommentar.
Hallo Anja
“die Geschichte dahinter.. “, ist meistens sehr nerugierig machend, und bei der Recherche macht es einen noch neugieriger.. Danke Dir für den schönen, flott geschriebenen und informativen Beitrag- schmunzeln musste ich etwas über das Buch “DDR” als Reiseführer, heb es gut auf, das ist ja schon ein antiquarisches Schätzchen.. ;-)
Grüße vom Rhein
Andreas
Hallo Andreas,
stimmt wer kann schon von sich behaupten einen DDR Reiseführer zu besitzen. Allerdings hab ich dann gleich noch ein Schätzchen, nämlich Jugoslawien und von Leningrad habe ich auch noch einen. Oh mist, ich glaube ich werde alt.
ich wünsch dir was
Anja
Hey Anja,
danke für den interessanten Exkurs, was es mit dem Reiseführer von Michael Müller auf sich hat. Eine tolle Geschichte! Wenn ich reise, dann ist eigentlich alles Wichtige auf meinem Handy gespeichert und auch in der Reisevorbereitung nutze ich viel das Netz. Aber auf eines aus der nicht digitalen Welt verzichte auch ich nicht: den Reiseführer! Ich bin da nicht auf einen Verlag festgelegt, sondern entscheide jedes Mal nach Erscheinungsdatum und Inhalt, welchen ich für die eine Reise suche. Auf meiner letzten Reise nach Montenegro war dann auch Herr Müller mit dabei ;-) War super!
Liebe Grüße
Ria
Hallo Ria,
klar lese ich auch im Netz, doch ein Reiseführer in dem ich rumkritzeln kann gehört für mich einfach zur Vorbereitung dazu. Das es immer oder zumindest meistens der Michael Müller ist liegt vermutlich daran, dass ich mir den im Buchladen als erstes ansehe.
Liebe Grüße
Anja
Früher habe ich Reiseführer angeschaut/gekauft, aber seitdem wir so viel Reisen nicht mehr. Irgendwie steht bei den gängigen eh über all das selbe touristische Zeugs drin ;-) Ich schaue lieber im Internet auf Blogs, da bekommt man meist genauere und aktuellere Infos. Früher waren die Dinger allerdings wirklich interessant!
Hallo Mel,
ich glaube da bin ich echt altmodisch. Ich brauche irgendetwas in dem ich anstreichen und unterstreichen kann. Auf Blogs fehlen mir oft die Hintergrundinformationen zu Geschichte etc. Da ich ja meist mit dem Rad unterwegs bin geht es mir nicht so sehr um irgendwelche Sehenswürdigkeiten, sondern um die Gegenden durch die ich fahre.
Liebe Grüße
Anja