Radreise Brenner Venedig: Wie alles begann

Der Traum, die Alpen zu überqueren ist alt. Hannibal wollte von Süden gen Norden. In jüngerer Zeit wollen die meisten von Norden gen Süden. Heute gibt es Autobahnen, Zugstrecken und Passstraßen, die hoch frequentiert sind, doch der Traum und die Faszination die Alpen mit eigener Kraft, sei es zu Fuß oder mit dem Rad zu überwinden ist geblieben und hat auch irgendwann meine Tochter und mich erwischt.

Angefangen hat alles, wie bei den meisten unserer Touren mit einer blöden Idee. An einem Tag auf der Arbeit, an dem nicht viel los war, habe ich nach Radwegen für unseren nächsten Urlaub gesucht und da habe ich ihn entdeckt, den „langen Weg der Dolomiten“. Ich war sofort begeistert und nachdem sich meine Tochter, zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre, die Bilder angeguckt hat, stand fest: Wir fahren nach Venedig. All meine Einwände von wegen ich kann kein italienisch und was ist, wenn mir etwas passiert, wurden einfach mit dem Satz abgebügelt:“ Ach Mama, wir schaffen das schon!“ Und damit war jede Diskussion beendet. Einsichtig war sie nur noch dahingehend, dass wir oben am Brenner starten und uns somit zumindest diese Strapaze ersparen. Die Vorbereitung der Tour stellte mich vor neue Herausforderungen. Bisher waren wir immer mit den Bike Line Führern gefahren, doch für diese Tour gab es den nicht und der besagte lange Weg der Dolomiten war nur ein Teilstück unserer Strecke. Im Internet und in einem ausgesuchten Kartenladen wurde ich schließlich fündig und nun sahen wir zum ersten Mal, was an Höhenmetern auf uns zukommen würde. Ich dachte nur: „Wenn du jetzt keinen Herzinfarkt bekommst, dann spätestens unterwegs. Aber keine Chance, Jana hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und bei jedem Einwand der Satz: „Wir schaffen das.“ Irgendwann habe ich selbst daran geglaubt, wusste nur noch nicht so wirklich, wie wir es schaffen sollten. Aber eins stand fest: „Wir fahren mit dem Rad nach Venedig, wie auch immer!“

Also habe ich mich in die Vorbereitungen gestürzt. In einer Nacht und Nebelaktion habe ich einen der beliebten Plätze im Nachtzug nach München ergattert und uns diesmal erstmalig einen Liegewagen gegönnt. Ich habe Karten gewälzt, Routen zusammengestellt und Campingplätze herausgesucht und dann konnte es eigentlich losgehen. Aber eben nur eigentlich, denn drei Tage vor Abfahrt fällt Jana vom Pferd und wird mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht. Dort muss sie erst einmal bleiben, zur Beobachtung. Nötige Untersuchungen ziehen sich hin und als feststeht, dass es nichts Ernstes ist, findet sich kein Arzt, der sie offiziell entlässt. Das Wochenende steht vor der Tür und keiner ist zuständig. Wir drehen fast durch und verlassen das Krankenhaus schließlich ohne Entlassungspapiere. Der Kinderarzt bescheinigt uns am nächsten Morgen, dass wir fahren können und dann unterwegs irgendwo die Fäden ziehen lassen sollen. Erleichtert packen wir zusammen und es kann endlich losgehen.

Radreise Brenner Venedig: Die Anreise

Am Bahnhof angekommen sind wir beide gespannt auf den Liegewagen. Das Verladen der Räder klappt gut aber dann der Schock: Wir hatten im Abteil beide die jeweils oberen Betten. Jana hat die obere Etage in ihrem jugendlichen Leichtsinn natürlich schnell erklommen, doch bei mir liegt die Zeit der Hochbetten schon einige Jahre zurück und ich dachte ich komme da nie hoch. Endlich oben hatte ich immer Angst runterzufallen und habe mich an der Pritsche festgehalten. So ein Schwachsinn, da kann man gar nicht runterfallen, schließlich gibt es eine Barriere wie bei einem Kinderbett und runtergefallen sind letztendlich auch nur meine Decke und mein Kissen. Ich hatte zwar das Gefühl überhaupt nicht geschlafen zu haben, aber als ich aus dem Fenster geguckt habe, war es schon hell. Also alles in allem eine lohnenswerte Investition, allerdings sollte man auf die Frage bei der Buchung, wo wollen sie liegen nicht mit egal antworten aber gut aus Fehlern lernt man.

Der Zug von München zum Brenner hat nicht wirklich viel Platz für die Räder. Es gibt am Anfang und am Ende je einen Hängeplatz aber nach einigem hin und her kommen wir gut am Brenner an. Wir stürmen sofort den ersten Laden, kaufen Ciabatta, Mortadella und Salami und suchen uns eine schöne Alpenwiese für unser Frühstück. Zur Abfahrt wählen wir doch den neuen Radweg, statt die alte Passstraße. Er ist zwar weiter und es geht keineswegs nur bergab, aber die Passstraße ist doch sehr befahren. Auf dem Campingplatz angekommen macht sich der wenige Schlaf der letzten Stunden doch bemerkbar und wir gehen früh ins Bett.IMG_6240

 

Als ich am nächsten Morgen aufwache, brauche ich erst einmal einen Moment, um zu registrieren, wo ich überhaupt bin, die Landschaft sieht fast unecht aus, eher wie aus einem Bildband. Jana schläft noch und so mache ich mich auf zum nächsten Supermarkt und überrasche sie später mit frischen Brötchen, Salami, Mortadella und frischem Saft. Nach dem Frühstück machen wir uns auf zur Gilfenklamm. Auch, wenn man an einem solchen Ort leider nie alleine ist, ist es doch beeindruckend. Nach der Tour durch die Klamm gehen wir noch ein Eis essen und einkaufen. Wir kochen noch und gehen früh schlafen.IMG_6305

Am nächsten Tag steht uns die erste schwierige Tour bevor. Es sind 33 Grad und es geht bergauf und bergab, meiner Meinung nach ja mehr hoch als runter. Als wir nach 51 Kilometern endlich auf dem Campingplatz ankommen, habe ich einen wunden Po. Stürze mich nur noch in den Pool und freue mich, dass wir morgen einen Pausentag haben. Gegen Abend gewittert es, aber wir können in einer Grillhütte auf dem Campingplatz kochen.

Heute müssen wir erst einmal den Dorfdoktor aufsuchen, denn Janas Fäden müssen gezogen werden. Alles klappt reibungslos, der Arzt spricht sogar deutsch und anschließend gönnen wir uns eine Pizza im Dorf. Auch am Abend müssen wir auf das Restaurant auf dem Campingplatz ausweichen, denn es gewittert schon wieder.

Obwohl sich das Gewitter verzieht, ist die Nacht unruhig und es regnet die ganze Zeit. Am nächsten Morgen sind wir entsprechend k.o und packen das nasse Zelt zusammen. Kurz nachdem wir aufgebrochen sind, fing es wieder an zu schütten und nach knappen 20 Kilometern sind wir nass und durchgefroren. Wir stellen uns an einem Supermarkt unter und beschließen schweren Herzens den Rest der Etappe mit dem Zug zurückzulegen.

Als wir in Toblach ankommen, schüttet es immer noch in Strömen und es ist auch gleich ein paar Grad kälter. Bis der Supermarkt wieder aufmacht, nisten wir uns in einem Café ein, trinken einen heißen Tee nach dem anderen und tauen so langsam wieder auf. Als der Supermarkt aufmacht, hört es auch auf zu regnen. Wir kaufen ein und fahren die restlichen drei Kilometer zum Campingplatz.IMG_6434

Und da waren sie plötzlich, die Dolomiten. Der Campingplatz ist einfach spitze er bietet nicht nur einen Wahnsinns Ausblick, sondern hat auch echt schicke Waschräume. Vor uns liegt der Toblacher See. Rechts und links die Berge und nur ein schmaler Durchgang. Was sich dahinter verbirgt, wird die weitere Tour zeigen. Dass wir nicht von Bruneck nach Toblach geradelt sind, hat mir keine Ruhe gelassen und so habe ich mit Jana ausgehandelt, dass ich mit ihr in den nahegelegenen Klettergarten gehe, wenn sie mit mir nach Bruneck radelt.

So machen wir uns am nächsten Morgen auf und wir stellen schnell fest, dass die Tour zwar toll ist, die Idee den Zug zu nehmen aber nicht schlecht war, denn in die umgekehrte Richtung wär sie wirklich heftig gewesen und dann auch noch bei Regen. In Bruneck angekommen nehmen wir wieder den Zug zurück nach Toblach und dann ist es an mir meinen Teil des Versprechens einzulösen. Da bei uns gilt: Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen musste ich mich also in windige Höhen begeben. Aber ich muss zugeben nach anfänglichen Schwierigkeiten macht es echt Spaß.

Das es nächsten Tag steil werden würde wussten wir und haben deshalb auch nur 33 Kilometer eingeplant, dass wir für diese Strecke jedoch den ganzen Tag brauchen würden, war uns nicht klar. Bei der Planung wussten wir ja auch nicht, dass der Weg teilweise grob geschottert ist und durch ausgetrocknete Flussbetten führt.

Aber wir waren nicht allein. Allein waren wir nur mit unserem Gepäck. Aber welcher Idiot fährt auch schon mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bibliothek auf einem Mountainbike Trail? Die italienischen Mountainbiker ziehen stattdessen Fahrradanhänger mit ihren Kindern hinter sich her und immer wenn mich wieder ein Kind aus dem Anhänger angrinst, frage ich mich warum es bei dem gerappel nicht ununterbrochen kotzt oder zumindest lauthals protestiert. Tja man hat es schon schwer mit Fahrradverrückten Eltern kommentiert meine Tochter das geschehen und grinst. Wie gut, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, was uns noch so alles erwartet. Das Wetter ist wechselhaft und ich denke die ganze Zeit, wie ärgerlich es doch wäre, wenn wir uns hier so abmühen und die drei Zinnen nachher gar nicht sehen können. Doch dann reißt es auf und ich kann es einfach nicht lassen jeden Berg zu fotografieren.

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Sobald ich anhalte und den Fotoapparat heraushole schreit Jana: „Mama den hast du schon.“ Ich antworte: Stimmt nicht, das war der da drüber. Obwohl das Wetter wieder schlechter wird, erreichen wir den Aussichtspunkt bei guter Sicht, doch verdammt welches sind denn nun die drei Zinnen?

Auf den ganzen Postkarten sieht das irgendwie immer ganz anders aus. Begeistert von der einmaligen Landschaft radeln wir tapfer weiter. Während Jana jeden Ameisenhaufen zählt, mache ich ein Foto nach dem anderen und dann verfahren wir uns zu allem Überfluss auch noch total. In unserer Verzweiflung nehmen wir die Passstraße, doch dort donnert ein LKW nach dem anderen an uns vorbei und es ist lebensgefährlich. Wir treffen zwei deutsche Triathleten, sie raten und umzukehren, weiter unten sei ein Radweg. Gesagt getan drehen wir um und sehen auf dem vermeintlichen Radweg auch ein paar Mountainbiker. Wir folgen ihnen unauffällig. Es geht über Wiesen, durch ausgetrocknete Flussbetten und schließlich landen wir auf einem Wanderweg. Zum Schluss ist der Weg so schmal, dass wir die Räder mit dem Gepäck kaum noch schieben können. Völlig erschöpft kommen wir an eine Brücke, die auch im Reiseführer beschrieben ist. Dumm nur, dass der Rest der Beschreibung leider alles andere als mit der Realität übereinstimmt. Uns bleibt nichts anderes übrig auf die Passstraße zu fahren und siehe da, nach ein paar Metern erreichen wir auch die im Reiseführer beschriebene Bar und sehen auch wieder die Beschilderung unseres Radweges. Wir trinken noch eine Cola und machen uns auf zu einer sagenhaften Abfahrt, die uns für all die Strapazen des Tages entschädigt. Immer auf der alten Bahntrasse dem sogenannten langen Weg der Dolomiten geht es durch unbeschreibliche Landschaft runter nach Cortina.IMG_6559